Orthopädie trifft Innere Medizin – Warum Ganzheitlichkeit mehr als ein Schlagwort ist
- Olivier Van Neste
- 3. Mai
- 3 Min. Lesezeit
In der heutigen Medizinlandschaft begegnet man immer häufiger dem Begriff der „ganzheitlichen Behandlung“. Doch was bedeutet Ganzheitlichkeit wirklich – und wie sieht sie konkret aus, wenn Orthopädie und Innere Medizin zusammen gedacht und praktiziert werden?
Das Problem der Trennung: Zwei Fächer, eine Realität
Die klassische Schulmedizin ist stark arbeitsteilig organisiert. Fachgebiete sind streng voneinander abgegrenzt – mit allen Vorteilen spezialisierter Expertise, aber auch mit erheblichen Nachteilen für den Patienten. Ein Beispiel: Ein Patient leidet unter chronischen Rückenschmerzen. Der Orthopäde behandelt strukturelle Ursachen wie Bandscheiben oder Muskeldysbalancen, während ein Internist etwa Entzündungen, Stoffwechselstörungen oder psychosomatische Einflussfaktoren berücksichtigt. Häufig geschieht das jedoch unabhängig voneinander. Die Folge: Parallelwelten in der Diagnostik – aber keine gemeinsame Lösung.
Ganzheitlich heißt: Zusammenhänge erkennen
In der Realität des Menschen lassen sich körperliche und innere Prozesse nicht trennen. Die Beweglichkeit eines Menschen hängt nicht nur von Gelenken, Sehnen und Muskeln ab – sondern auch von Blutdruck, Stoffwechsel, Schlafqualität, innerer Haltung und nicht zuletzt dem emotionalen Befinden.
Wer z. B. unter unentdecktem Bluthochdruck, einem Vitamin-D-Mangel oder einer chronischen Entzündung leidet, wird deutlich empfänglicher für Schmerzen, Verletzungen oder Heilungsstörungen. Umgekehrt kann ein falsch interpretierter Schmerzreiz über längere Zeit zu innerem Stress führen – mit Auswirkungen auf den ganzen Organismus. Diese Wechselwirkungen müssen nicht nur erkannt, sondern auch behandelt werden.
Das Beste aus zwei Welten
Die Verbindung aus Orthopädie und Innerer Medizin eröffnet hier besondere Chancen:
Der internistische Blick liefert eine umfassende Betrachtung der körperlichen Belastbarkeit, Leistungsfähigkeit, Ernährung und Systemgesundheit.
Die orthopädische Perspektive ermöglicht die gezielte Analyse und Behandlung von Schmerz, Bewegungseinschränkungen und strukturellen Ursachen.
Beide Disziplinen sind keine Gegensätze – sie ergänzen sich, wenn man sie richtig kombiniert. So lassen sich Therapien viel präziser auf den individuellen Patienten abstimmen.
Beispiel aus der Praxis
Ein 52-jähriger Patient stellt sich mit anhaltenden Knieschmerzen vor – insbesondere beim Treppensteigen und nach längerer Belastung. Die orthopädische Untersuchung zeigt einen beginnenden Knorpelschaden im Bereich der medialen Gelenkfläche. Ein klassischer Fall? Nur auf den ersten Blick.
Im ausführlichen Gespräch wird deutlich: Der Patient hat in den letzten fünf Jahren rund zwölf Kilogramm zugenommen, bewegt sich unregelmäßig, leidet unter Tagesmüdigkeit und nächtlichen Wadenkrämpfen. Seine Blutwerte zeigen eine latente Insulinresistenz, leicht erhöhte Entzündungsmarker und einen deutlich erniedrigten Vitamin-D-Spiegel. Die Bioimpedanzanalyse bestätigt einen Verlust an Muskelmasse bei gleichzeitig erhöhtem Bauchfettanteil.
Neben einer Injektionstherapie zur Schmerztherapie erfolgt ein ganzheitlicher Ansatz:
orthopädisch gezielte Schmerztherapie mit Bewegungsoptimierung und Einlagentherapie
internistische Diagnostik (Stoffwechsel, Hormonstatus, Mikronährstoffe)
Aufbau eines individuellen Trainingsplans mit Fokus auf Muskelaufbau und Stoffwechselaktivierung
Ernährungsoptimierung und Begleitung bei der Gewichtsreduktion
Ergebnis: Nach 3 Monaten sind die Schmerzen deutlich rückläufig, der Patient hat 6 kg abgenommen, seine Schlafqualität hat sich verbessert – und er versteht erstmals, dass seine Knieprobleme nicht nur im Knie entstehen.
Der Patient im Mittelpunkt
Ganzheitliche Medizin bedeutet nicht, alles zu machen – sondern das Relevante für diesen Menschen zu erkennen. Genau hier liegt die Stärke eines integrierten Konzepts:
Zeit für das Gespräch
Verständnis für Lebensumstände
Diagnostik, die über das Offensichtliche hinausgeht
Therapie mit Verstand und Maß
Am Ende geht es nicht darum, ob eine Maßnahme schulmedizinisch oder alternativ ist – sondern ob sie wirkt. Und zwar nachhaltig, erklärbar und messbar.
Fazit: Ganzheitlichkeit ist ein Versprechen – und eine Verpflichtung
Die Verbindung aus Innerer Medizin und Orthopädie ist keine Mode, sondern eine medizinische Notwendigkeit. Sie erlaubt einen differenzierteren Blick auf das, was Menschen krank macht – und was sie gesund hält.
Der Körper kennt keine Fachgrenzen.
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